Das Rote Zentrum: Känguruschwänze, Ameisen und jede Menge Kreativität

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Geschafft! Nach 12 Tagen, 3.673 Kilometern und mehreren ungeplanten Umwegen erhebt sich Uluru vor mir, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der heilige rote Felsen steht schon aus 30 Kilometern Entfernung mit so einer vereinnahmenden Präsenz in der Landschaft, dass die Begegnungen und Erlebnisse der letzten Tage fast unwirklich erscheinen.

„Palya!“ begrüsst mich ein Schild am Straßenrand, es bedeutet „Willkommen“ in Pitjantjara, der Sprache der hier lebenden Anangu. Es sind 40 Grad, als ich am Nachmittag in den Uluru-Kata Tjuta National Park hineinfahre. Der freundlichen Mitarbeiterin am Eingang erkläre ich, dass ich Angela besuchen will, die hier seit einigen Jahren lebt und arbeitet. Sie stellt mir sofort eine Sondergenehmigung aus, ohne dass ich Weiteres erklären muss.

Ich fahre direkt zum Felsen und bin erfreut zu sehen, dass der Tourist Climb – ein schmaler, steil hinaufführender Aufgang für Touristen – geschlossen ist. Die völlig selbstverständlich auf dem Felsen herumtrampelnden Touristen waren mir bei meinem ersten Besuch vor neun Jahren ziemlich gegen den Strich gegangen. Ich konnte es nicht nachvollziehen, dass sie trotz der Bitte der Aborigines, Uluru aus Respekt nicht zu erklettern, munter darauf herumturnten. Und natürlich regelmäßig dafür sorgten, dass die medizinischen Einsatzkräfte des Nationalparks gut beschäftigt waren. Wie ich bald erfahren sollte, haben die Anangu ein ganz bestimmtes Wort für Touristen: Mingas, was in Pit-Sprache „Ameisen“ bedeutet.

Angela lebt in Mutitjulu, eine gut behütete kleine Siedlung auf der Rückseite des roten Felsens, die aus zwei Teilen besteht. Auf der einen Seite der Sanddüne leben die Anangu, auf der anderen haben die Ranger ihre Häuser. Es ist ein großes Privileg, hier mehrere Wochen bleiben zu dürfen. Gäste des Nationalparks kommen sonst nur in der 30 km entfernten Touristenstadt Yulara außerhalb des Parks unter und müssen ihn jeden Tag zum Ende der Öffnungszeiten verlassen. Für Viele ist es eine Reise, die sie einmal in ihrem Leben machen, oft zu einem besonderen Anlass.

Kurz nach meiner Ankunft nimmt mich Angela mit in die Community und ich lerne die Stammesältesten der Anangu kennen. Sie wirken in sich gekehrt. Als Angela ihre Namen ruft, blicken sie hoch und kommen langsam zurück in die Außenwelt. „Palya“, so begrüßen sie mich, einige von ihnen lächeln. Aber dieses Lächeln ist anders, es ist kaum sichtbar, wenn man nicht genau hinschaut. Es kommt aus dem Inneren, ist behäbiger. Braucht länger, um auf dem Gesicht zu erscheinen. Das tiefe Dunkel ihrer Augen hat eine eindringliche Wirkung auf mich. Es ist ganz anders als andere erste Begegnungen, ich fühle mich sofort gut aufgehoben bei ihnen und da ist eine natürliche Vertrautheit. Ich setze mich spontan auf einen freien Platz neben eine alte Frau. Es stellt sich heraus, dass es Barbara Tjikadu ist, die älteste und klügste Person hier. Auch Judy Trigger, eine bekannte Künstlerin, lerne ich kennen. Sie trägt ein Kleid im Leopardenmuster, Barbara hat die passenden Schuhe dazu an.

Sowohl Judy als auch Barbara erwähnen, dass sie mich mit auf Tour nehmen wollen, um mir wichtige Dinge nahe zu bringen. Sie planen und überlegen in für mich unverständlichem Gemurmel, und bald steht fest: Am Freitagnachmittag soll es losgehen…

Wir nehmen Judy und ihren Rollator mit hinüber ins Maruku Art & Craft Centre. Sie will unbedingt eine ihrer Geschichten malen. Maraku ist ein Unternehmen, das den Aborigines gehört und die Kunst der umliegenden und auch weiter entfernten Communities aufkauft, um sie dann an die Galerien weiterzuverkaufen. Ich gehe durch Regale, die voll sind von Holzskulpturen mit eingebrannten Mustern darauf. Speere, Grabstöcker, Schlangen, Eidechsen, Schnecken, Vögel, Goannas, Tragschalen und Bumerangs. Andere Regale sind voll mit bemalten Leinwänden sowie Holztafeln mit eingebrannten Mustern, mit Farbe bemalt und mit Samen und trockenen Beeren beklebt. Eine Kombination, die mich besonders fasziniert.

Ich komme an einem großen Metallschrank vorbei, dessen Türen offen stehen. Im Inneren erblicke ich Acrylfarben in unzähligen durchsichtigen Kunststoffdosen hervorleuchten. Die Namen der Farben sind in Pitjatjatjara-Sprache an der Vorderseite der Regalböden angebracht. Wow, ich stehe mitten in der kreativen Wirkungsstätte der Anangus! Es ist ein schönes und inspirierendes Gefühl, von so vielen kreativen Dingen umgeben zu sein.

Im hinteren Raum des Arts Centre plant eine Mitarbeiterin gerade die Logistik für die Ausstellungsstücke, die demnächst auf Tour durch ganz Australien gehen werden. Judy sitzt inzwischen im vorderen Raum auf dem Boden und malt an ihrem neuesten Werk, einer Version der Geschichte der Sieben Schwestern, für die sie kulturelle Erbin ist und die mir bereits auf dem Raketentest-Stützpunkt von Woomera kurz über den Weg gelaufen war.

Die hiesige Legende erzählt die Geschichte von Wati Nyiru, der sich unsterblich in die älteste Schwester verliebt und die Schwestern daraufhin unaufhörlich durch das Land verfolgt. Er ist clever und kann sich in die unmöglichsten Gestalten und Dinge verwandeln, z.B. Steine, Tiere oder die Frucht eines Baumes. Die Sieben Schwestern spüren immer seine Gegenwart, aber sind nicht in der Lage, ihn loszuwerden.

Judy erklärt mir, wie sich die Schwestern vor Wati Nyiru unter Blättern verstecken, die sie in einem schönen Grünton dargestellt hat, auf dem sie jeweils in U-Form eine Schwester andeutet, wie ich es von der Symbolik des Dot Painting bereits kenne. Wir gehen gemeinsam zurück in die Halle, wo sie mir noch eine weitere Leinwand-Version dieser Geschichte vorstellt. Eines ihrer figurativen Bilder von Wati Nyiru wurde kürzlich vom National Museum of Australia in Canberra erworben. Ich fühle mich unheimlich privilegiert, Judys Bekanntschaft zu machen. Ihre Kunst wirkt nicht impulsiv herausströmend, eher sorgfältig abgewogen, aber dennoch frei und lebendig, und verfügt über eine bemerkenswerte Tiefe.

Es ist Freitagmorgen und ich bin aufgeregt. Heute geht es mit Judy und Co auf Tour, ungewiss wohin eigentlich. Was mich wohl erwartet? Laut Angela war bei diesen Frauen alles möglich, inklusive nackten Tänzen um ein nächtliches Feuer. Bei Anbruch der Dämmerung fahre ich hinaus nach Kata Tjuta – eine in der weißen Sprache auch als Olgas bekannte Gebirgskette aus 36 rotleuchtenden, rundgeformten Felsen. Ich wandere mehrere Stunden durch das weitläufige Valley of the Winds und genieße es, diese beeindruckende Kulisse ganz für mich zu haben, während der Wind mir seine Lieder in verschiedensten Rhythmen ins Ohr flüstert.

Am Nachmittag holen wir Judy und ihre Freundin Lydia aus Mutitjulu ab und nun steht fest, wohin unser Weg uns führt: Nach Watarrka, eine auch als Kings Canyon bekannte, imposante rotleuchtende Felskette mit einer großen Schlucht. Die Frauen wollen mir dort ihre special places zeigen. Ich muss schmunzeln, denn zum Kings Canyon hatte ich vor ein paar Tagen einen weiteren spontanen Abstecher während meiner Fahrt zum Uluru gemacht und dort bereits zwei sehr schöne Tage und eine unvergessliche Wanderung erlebt. Doch ich ahnte schon, dieser Ausflug würde anders werden als die Aktivitäten, die man so im Reiseführer findet…

Auf der etwa 300 km langen Fahrt halten wir Ausschau nach Buschtomaten und werden bei einem unserer spontanen Stops am Straßenrand schließlich fündig. Die trockenen gelben Früchte, die wir vom Boden auflesen und von den Sträuchern pflückten, haben einen intensiven fruchtigen Geschmack. Judy erklärt mir, dass es auch eine giftige Sorte gibt, die Dornen an den Stängeln hat und es daher immer ratsam sei, vor dem Verzehr eine Anangu zu befragen.

Die Abendsonne steht bereits sehr tief, als wir in Lila, einem kleinen Ort am Fuße des Kings Canyon ankommen. Wir befinden uns auf dem Land der Aborigines, zu dem man normalerweise nicht einfach so Zugang hat, wie ein Schild am Ortseingang von Lila erklärt. Judy bittet Angela, in die Einfahrt des ersten Hauses zu fahren, an dem wir vorbeikommen. Dort erblicke ich einen Mann, der mit der Reparatur seines Wagens beschäftigt ist. Kaum halten wir, kommen uns Frauen mit neugierigen Blicken entgegen. Judy erklärt, wo wir herkommen und die Frauen beginnen untereinander, ihr Verwandschaftsverhältnis zu klären. Es stellt sich schnell heraus, dass Barbara Tjikadu, die alte Frau, neben der ich neulich saß, die entsprechende Verbindung herstellt.

Sadie, die Hausherrin, führt uns zum hinteren Teil des Grundstückes an eine Stelle, wo wir für die Nacht unser Lager aufschlagen dürfen. Eine Toilette und Dusche sind in einer kleinen provisorischen Hütte vorhanden, ein paar verrostete Metallbettgestelle stehen in der Landschaft. Der Boden besteht aus feinem roten Sand, eine Feuerstelle wartet schon auf uns. David, der Mann, der gerade noch an seinem Wagen bastelte, fährt los und kommt wenige Minuten später mit einem vollbeladenen Kofferraum an zusammengesammeltem Feuerholz zurück. Das Feuer wird mit Spinifex, einem Wüstengras, entfacht und kurze Zeit später sitzen wir mit unseren Metallbechern drumherum und trinken alle Tee.

Judy, Lydia, Angela und ich – der Mob aus Mutitjulu – und Sadie, ihre Schwester Sonia und deren Mutter Ena – die Damen aus Lila. Um uns herum laufen aufgeregt mehrere Hunde umher. Es ist inzwischen dunkel, die Sterne funkeln leuchtend und in unfassbarer Tiefe – Orion und die Plejaden wachen über uns. Die Geschichte der Sieben Schwestern, da ist sie wieder. Wir sind sieben Schwestern, verbunden in diesem Moment durch diesen Ort, der uns zusammengeführt hat, um uns auszutauschen. Mit dem, was gerade in uns lebendig ist.

Aber nicht nur wir vier Frauen traten die Reise vom Uluru hierher an, mit uns reisten zwei Känguruschwänze im Gepäck. Ja, genau: Känguruschwänze! „Keine Aborigine-Tour ohne Känguruschwänze“, darauf hatte mich Angela frühzeitig hingewiesen. Und so kam es, dass ich mich eines Tages in der Touristenstadt Yulara wiederfand und aus dem Gefrierschrank des örtlichen Supermarktes zwei Känguruschwänze fischte. Ich konnte die irritiert schrägen Blicke der Anderen um mich herum buchstäblich spüren. Die Frau an der Kasse versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Als sie mir die Summe entgegenflötete, war da allerdings ein kleiner Aussetzer, der verriet, dass eigentlich ein großes imaginäres Fragezeichen über ihrem Kopf schwebte.

Die besagten Känguruschwänze liegen jetzt im heißen Sand vergraben, umgeben von der Glut des Feuers. Zunächst brannte Sadie das Fell am offenen Feuer an, schabte es mit einem scharfen Messer ab und wickelte die Schwänze dann sorgfältig in Aluminiumfolie ein. Judy sitzt inzwischen nah am Feuer im Sand und ich setze mich neben sie. Sie will mir zeigen, wie die schönen Brandmuster entstehen, die ich im Arts Centre auf den Holzskulpturen bewunderte. Sie legt einen Draht, der in einer Schlaufe geformt ist, so lange ins Feuer, bis er glühend heiß ist. Der Griff wird dabei mit Sand bedeckt, damit diese Stelle nicht zu heiß wird und man sie noch anfassen kann. Judy nimmt den Draht aus dem Feuer und brennt behutsam die ersten Muster auf einen Holzlöffel. Ich versuche es ihr gleich zu tun. Es erfordert größte Aufmerksamkeit und Vorsicht, um sich nicht zu verbrennen und mindestens genausoviel Feingefühl, um die gewünschten Muster an die richtige Stelle zu setzen.

Für diese Präzisionsarbeit ist es bald zu dunkel und außerdem sind die Känguruschwänze fertig. Ich muss einmal tief durchatmen, bevor ich es schaffe, ein wenig davon zu kosten. Es ist mühsam, die kleinen Fleischstücke von den Knochen zu entfernen. Sie schmecken wie Kängurufleisch, ähnlich wie Lamm, allerdings um einiges fettiger. Es herrscht Stille um mich herum, die Frauen essen es offenbar sehr gern. Es war ein langer Tag und nachdem alle Bäuche gut gefüllt sind, richten wir uns schließlich unser Lager für die Nacht. Erleichterung, als ich auf meiner Matratze liege und bemerke: Es gab keine nackten Tänze ums Feuer!

Die Nacht bleibt warm, es kühlt sich kaum ab und so verlassen wir freiwillig unsere Zelte, als die Sonne am Morgen hinter dem Kings Canyon hervorkommt. Der schöne Abend mit den Schwestern klingt noch nach. Sadie wirkt sehr aufgeschlossen und scheint viel im Kontakt mit der „weißen Welt“ zu sein. Sonia ist oft in sich zurückgezogen, sie isst gern und scheint die Dinge zu genießen, die wir ihr anbieten. Ena, die Mutter der beiden, hat ein sehr warmes Lächeln, eine freundliche natürliche Art an sich. Aber in ihren tiefdunklen Augen schimmert noch etwas anderes. Eine Traurigkeit, die eigentlich sonst an ihr nicht präsent ist. Ihre Kinder gehören vom Alter her zu jener Stolen Generation, die aufgrund der damaligen Rassenpolitik der australischen Regierung in vielen Fällen im frühen Kindesalter von ihren Eltern getrennt wurde.

Die Frauen tragen alle schillernd bunte Kleidung. Röcke und Oberteile sind pragmatisch zusammengewürfelt und entledigen sich jeder klassischen Norm, die glaubt diktieren zu müssen, was wozu passt und was nicht. Regeln wie diese sind hier draußen unwichtig. Sie kombinieren so wie ihnen zumute ist. Wenn ihre Kleidung eine Reflektion ihres Inneren ist, sind dies sehr erfüllte und freie Menschen.

Die Frauen wollen mir nun einige ihrer besonderen Orte zeigen. Auch heute sind wir sieben Schwestern. Sadie bleibt zurück, aber dafür kommt ihre Schwester Vera dazu. Es ist bereits sehr warm, als wir uns in zwei Wagen mit Vierradantrieb der Felsgruppe nähern, auf die wir seit gestern Abend einen wunderschönen, sich ständig im Licht wechselnden Blick hatten. Vera geht öfter auf Tour und führt die Gruppe an, als es zu Fuß weitergeht. Sie versucht, das dichte hochgewachsene Gras nach rechts und links herunterzudrücken und so einen Weg für uns zu ebnen. Judy, Lydia und Sonia scheinen von der Hitze schnell erschöpft zu sein. Vera hingegen wirkt kaum betroffen und die Älteste von uns, Ena, offenbar ganz unbeeindruckt. Sie hat sich einen walking stick gesucht und bewegt ihre kleine, fast zerbrechlich wirkende Gestalt behutsam aber aus einer inneren Kraft heraus, die Stabilität ausstrahlt, ihres Weges.

Wir finden Buschbananen und sammeln an verschiedenen Stellen mingkulpa, wilden Tabak. Er wird getrocknet und später gemahlen und das Pulver dann mit der weißen Asche einer bestimmten Sorte eines verbrannten Eukalyptusbaumes vermischt. Die Anangu legen sich dieses Gemisch unter die Lippen und werden davon high bzw. sind danach süchtig. Mir war die Herstellung von Tabak bereits durchaus vertraut. Meine Eltern bauten ihn früher selbst auf einem unserer Felder an. Erst half ich dabei, die kleinen Pflänzchen in den Boden zu setzen, später wurden die Blätter gepflückt und an Leinen aufgefädelt, um sie in der Scheune zu trocknen. Wir sammeln für Judy und Lydia, was wir bekommen können, denn mingkulpa wächst eher in steinartigen Gegenden wie dieser, am Uluru hingegen eher weniger bzw. nicht jeder darf aus kulturellen Gründen an bestimmte Stellen gehen.

Vera führt mich an einen Felsen mit kleinen weißen Handabdrücken. Hier wurden früher die Kinder zurückgelassen, während die Mütter weiter hinten ihre neuen Babies gebärten. Auch an diesen Ort führt mich Vera. Es ist eine höhlenartige Stelle an einem orange-leuchtenden Felsen mit dunklen Ablagerungen. An den Wänden befinden sich aufgemalte konzentrische Kreise. Hier haben nur die Frauen Zutritt. Ein Stück entfernt kommen wir an ein Wasserloch. Es handelt sich um eine permanente Wasserquelle, an der die neu geborenen Babys gebadet wurden, erklärt mir Vera. Sie weist mir, hinter einem Feigenbaum, dessen Früchte noch unreif sind, einen Stein hinaufzuklettern. Dort finde ich einen in rotem Ocker an den Felsen gemalten Coolamon. Die Trageschale der Aborigine-Frauen für ihre Babies.

Die anderen sitzen inzwischen im Schatten. Ich habe mir auch einen walking stick gesucht, der allerdings verkrümmt ist. Ena reicht mir ihren mit einem Lächeln – die perfekte Länge und die perfekte Form. Ich entdecke Beeren an einem Strauch, die wie rote Weintrauben aussehen. Vera befindet sie für essbar, ihr süßer fruchtiger Geschmack ist uns eine willkommene Erfrischung. Wir kommen an ein weiteres Wasserloch, hier weilt die Regenbogenschlange – Mutter des Lebens und eines der mächtigsten Wesen der Traumzeit. Vera zeigt mir ihre Spuren am Felsen über uns. Dort befindet sich ein Abdruck im Stein, der tatsächlich wie ein ruhender Schlangenkopf aussieht.

Wir fahren zum Kings Canyon Resort, dem Touristenlager von Watarrka, um uns dort im Café mit einem Mittagessen zu stärken. Im Eingang des Café hängt eines von Veras Bildern. Es ist im gegenständlichen Stil gemalt, zeigt Watarrka im Hintergrund und viele Tiere drumherum in den schillernsten Farben. Ein Bild voller Leben, Lebendigkeit und Fülle, das mich angesichts von Veras äußerlicher Nüchternheit fast etwas überrascht.

Wir, die sieben Schwestern, sitzen an einem Tisch mitten im Café, das eher an eine Kantine erinnert. Um uns herum sitzen Touristen und bedenken uns mit starrenden Blicken. Vera macht mehrere Kommentare, sie fühlt sich sichtbar unwohl. Auch Sonia scheint die Blicke zu bemerken. Das mag komisch klingen, aber ich fühle mich in dem Moment eher schwarz als weiß. Ich werde genauso angestarrt wie sie, wahrscheinlich sogar noch mehr, weil ich mich völlig natürlich mitten in ihrem Kreise bewege. Wir sind durchgeschwitzt, machen wahrscheinlich einen etwas verwahrlosten Eindruck nach der letzten Nacht. Natürlich ganz im Gegensatz zu den wie für einen Sonntagsausflug herausgeputzten Ameisen mit ihren ordentlichen Bügelfaltenhosen und blütenweißen Turnschuhen.

Nach dem Essen verabschieden wir uns von Sonia, Ena und Vera. Es sind 43 Grad, die Rückfahrt im Auto wird anstrengend. Die Eindrücke der letzten 24 Stunden wirken nach. Kaum greifbar, diese Begegnungen aus kleinen Momenten und fast subtilen Interaktionen mit den Frauen. Es geht ums Spüren vielmehr als ums äußere Sehen. Keine aufgesetzte Höflichkeit, ein Lächeln nur aus dem Inneren heraus. Gesten ebenfalls. Einfach Sein und sehen, wohin das führt.

Der heutige Himmel ist mit unzähligen kleinen weißen Wolken bedeckt, die einem Van-Gogh-Gemälde entsprungen sein könnten. Während die Felsen von Watarrka langsam hinter uns kleiner werden, überholt uns ein großer, vollklimatisierter Reisebus mit stark getönten Scheiben und der Aufschrift „Bringing Australia to life“.

Ich bin froh und dankbar, in diesem Fahrzeug zu sitzen.