Natur pur und so einige Überraschungen

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Nach zwei Wochen Großstadtluft mit schönen Wiedersehensbegegnungen, äußerst gutem Essen und beindruckender Kunst verschlägt es mich für das Wochenende endlich in den australischen Busch. Der für mein Wüstenabenteuer auserkorene ozeanblaue Toyota RAV4 ist eingetroffen und geht mit meinen beiden momentanen Gastgeberinnen und mir auf Probetour in den Südwesten von Victoria. Unser Ziel ist der Mount Eccles National Park bzw. Budj Bim, wie er in der Sprache des dort ansässigen Volkes der Gunditjmara heißt. Es ist Victorias erster Nationalpark, der in Kooperation zwischen Parks Victoria und den lokalen Aborigines geführt wird. Diese laden uns am Eingang ein, ihr Land ganz mit unseren Sinnen wahrzunehmen.

„The Aboriginal traditional owners welcome you to Budj Bim. We are happy and proud to share this special place with you and ask that you take the time to look, listen and feel the Country.“

Budj Bim ist ein schlafender und wohlgemerkt nicht erloschener Vulkan, der angeblich innerhalb der nächsten 10.000 Jahre jederzeit ausbrechen kann. So informiert uns zumindest mit freudestrahlendem Gesichtsausdruck Merilyn, der Besitzerin jenes sehr gemütlichen Bed & Breakfast, für das wir uns spontan auf unserem Weg in den Park als Unterkunft für die kommende Nacht entschieden haben.

Nach den vier Stunden Autofahrt von Melbourne hierher tut es gut, selbst in Bewegung zu kommen. Zur Erkundung der Gegend haben wir diverse Walking Tracks zur Auswahl und entschließen uns zur Umrundung des Kratersees Lake Surprise – in guter Hoffnung, heute keine Überraschung in Form eines Vulkanausbruches zu erleben!

Nach einem wunderschönen Ausblick von oben steigen wir hinab in den Krater zum Ufer des Sees und wandern umgeben von gigantischen Eukalyptusbäumen, dicht gewachsenen Farnen und Lavagestein den schmalen Pfad entlang. An diversen Stellen ragen unendlich lang wirkende, umgefallene Baumstämme in das Wasser, am Boden liegt überall die Rinde der Gum Trees, die sich zur Zeit gerade häuten und den Buschfeuern guten Zündstoff liefern. Ein strauchartiges Gewächs mit lilafarbenen Blüten und grünen bzw. orangefarbenen Früchten, die aussehen wie Tomaten, weckt mein Interesse. Ob es wohl die berühmten Bush Tomatoes sind?

Während ich meinen Blick langsam einen riesigen, sich schief zum See neigenden Eukalyptus hochwandern lasse, frage ich mich, wo die vielen in dieser Region lebenden Koalas eigentlich stecken. Just in dem Moment entdecke ich ein graues Fellknäuel, das ganz weit oben in den Gipfeln des Baumes bewegungslos in den Ästen hängt. Ein Koala, ein Koala! Die Wiedersehensfreude ist groß und obwohl wir unsere Begeisterung so geräuschvoll zum Ausdruck bringen, dass deren Schallwellen definitiv auch dort oben lautstark ankommen müssten, nimmt das Tier zunächst keinerlei Notiz von uns. Erst nach einer Weile öffnet es mit gelangweiltem Gesichtsausdruck ein halbes Auge und neigt seinen Kopf kaum wahrnehmbar in unsere Richtung, nur um im nächsten Moment wieder in jenen Komazustand zurückkehren, in dem wir es vorgefunden haben.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Koala in freier Wildbahn in einem anderen Zustand als diesen anzutreffen, ist bei 18 bis 20 Stunden Schlaf pro Tag schwindend gering. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch von Mount Eccles vor fast genau fünf Jahren. Damals war ich im Eingangsbereich des Parks mit meiner Kamera auf Entdeckungstour unterwegs. Plötzlich sah ich einen Koala am hell-lichten Tage einen Baum wenige Meter von mir entfernt herunterkrabbeln und sich am Boden so dicht an mir vorbei durch das Gras zu bewegen, dass ich ihn hätte berühren können. Ich traute mich kaum zu bewegen, da ich ihn nicht verschrecken wollte. Nach einigen Minuten unseres friedlichen Miteinanders kletterte er den nächsten Baum wieder nach oben und machte es sich dort für ein weiteres Schläfchen gemütlich. Ich blieb noch einen Moment stehen und konnte nicht glauben, was gerade passiert war.

Auf unserem weiteren Weg um den See entdecken wir Brombeersträucher und es duftet nach Minze – ein Hauch von Heimat. Kleine Lavasteine in den verschiedensten Lila-, Grau-, Braun- und Rottönen liegen auf der Erde, daneben die grau-rote Feder eines Galahs. Dieser Ort ist tatsächlich ein Erlebnis für die Sinne. Als wir erneut um eine Ecke biegen, stehen zwei Wallabies am Hang und fressen sich gerade satt. Beim Näherkommen hüpfen sie den Berg hoch und bleiben geduldig abwartend in sicherer Entfernung hinter dem Gestrüpp stehen, bis wir wieder außer Sichtweite sind.

Nach der Wanderung gönnen wir uns ein Picknick, zu dem sich im Laufe der Zeit immer mehr Wallabies gesellen, die ihr Abendbrot aus Blättern ganz in unserer Nähe einnehmen. Frisch gestärkt begebe ich mich mit meiner Kamera vorsichtig auf Wanderschaft, um die Tiere etwas näher vor meine Linse zu bekommen. Sie lassen sich nicht stören, schauen immer mal wieder zu mir hoch – bessere Fotomodels könnte ich mir nicht wünschen! Plötzlich erscheint etwa zehn Meter vor mir wie aus dem Nichts ein Tier, das etwas anders als die anderen aussieht. Ein Känguru in grau-silber schimmerndem Fell steht vor mir und schaut mich an. Ich schaue zurück, mein Blick fällt auf seinen Bauch – ein kleines Känguru-Baby lugt aus dem Beutel hervor!

Die Mutter harrt zusammen mit einem etwas abseits stehenden Gefährten, den ich zunächst gar nicht wahrnehme, eine gute Viertelstunde so aus. Das Kleine verschwindet immer mal wieder im Beutel, manchmal lässt es dabei seine Beine raushängen. Dann springen die beiden plötzlich los wenige Meter an mir vorbei zu den Grasfeldern, die sich an der in den Park führenden Straße befinden und lassen mich mit einem ähnlichen Gefühl zurück, das ich bereits damals an der gleichen Stelle bei meiner Koala-Begegnung hatte. Dem Gefühl, gerade etwas sehr Einzigartiges erlebt zu haben. Die Verbindung mit etwas Höherem. Etwas, das physisch nicht greifbar ist. Und in seiner Flüchtigkeit etwas Mystisches mitbringt, das über die von außen sichtbare Bedeutung hinausgeht.

Am nächsten Tag wollen wir uns auf die Spuren der Aborigines begeben und machen uns auf den Weg zum Lake Condah, wo es eine alte Mission und die Überreste von alten Steinhütten geben soll, in denen die Aborigines dieser Region im Gegensatz zu den vielen anderen indigenen australischen Völkern ihr nicht-nomadisches Dasein führten. Als wir an der Mission ankommen, befinden sich dort überall Schilder mit „No trespassing“ darauf. Wir respektieren diesen Wunsch und fahren weiter. Nachdem wir an anderen Stellen mangels Ausschilderung vergebens nach den Hütten und Spuren der Gunditjmara suchen und die lokalen Tour-Guides telefonisch nicht erreichen können, entschließen wir uns, für eine zweite Wanderung zum Mount Eccles zurückzukehren.

Der Natural Bridge Walk führt uns zu einer Anhöhe aus Lavagestein, die sich an beiden Seiten von uns immer höher emporstreckt. Der Ort kommt mir für einen flüchtigen Moment bekannt vor. Der schmale Weg schlängelt sich vorbei an Farnen, moosbewachsenen Lavafelsen und umgefallenen Baumstämmen – diese Landschaft erinnert mich an Irland und so ordne ich diesen Ort gedanklich dort ein. Wir kommen an die Natural Bridge, unter der sich eine dreiecksförmige Öffnung befindet, die in das Dunkel einer Höhle führt. Ich stehe plötzlich vor den hinabführenden Stufen einer Holztreppe und weiß, dass ich vor genau diesem Bild schon einmal stand. An nichts anderes kann ich mich erinnern. Nur an dieses Bild, das sich wie ein Abdruck in mein Gedächtnis geprägt hat. Es ist eigenartig zu wissen, dass ich schon einmal hier war, ohne mich an weitere Details zu erinnern.

In der Höhle gewöhnen sich meine vom grellen Sonnenlicht geblendeten Augen langsam an die Dunkelheit und nach und nach offenbart sich die Schönheit des Inneren in ihrer ganzen Fülle. Orangetöne, Grüntöne, Brauntöne, die sich miteinander vermischen und auf den unterschiedlichen Strukturen der Gesteinsoberflächen einen wahren Reichtum an abstrakten Bildern hinterlassen. In der Mitte liegt ein großer Haufen von Steinen, hinter dem sich am anderen Ende der Höhle eine ebenfalls dreiecksförmige Öffnung nach draußen befindet. Ich sitze auf einem der Steine und lasse den Raum auf mich wirken. Durch die beiden gegenüberliegenden Lichtquellen kommt er mir in seiner Dimension und Präsens sehr tief vor. Es fällt leicht sich vorzustellen, wie die Aborigines für Zeremonien oder aus anderen Gründen hierher kamen. Auf dem Rückweg treffen wir auf eine Baby Brown Snake, die bewegungslos auf einem umgekippten Baumstamm am Wegesrand ausharrt. Auch sie erntet freudige Begeisterung, aber in ausgewachsener Version möchte ich ihr nicht begegnen…

Im goldenen Abendlicht fahren wir vorbei an Feldern und Farmen zurück nach Melbourne. Ohne die verbliebenen Spuren der Aborigines mit eigenen Augen gesehen zu haben, sind wir doch auf ihren Spuren gewandelt – indem wir Budj Bim auf ihre Art näher gekommen sind. Durch hinsehen, zuhören, spüren.