Verliebt in eine Teetasse – ein Impuls für mehr Fantasie

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Ich liebe das Gefühl von Wärme. Und ich liebe Dinge, die Wärme für mich bereithalten. Ganz besonders in der winterlichen Jahreszeit. Und so kam es, wie es kommen musste: Eines Tages Anfang Februar wurde ich der Kälte um mich herum so überdrüssig, dass ich mich in meine Teetasse verliebte.

Du fragst dich, was so liebenswert an ihr ist? Oh, wo soll ich da beginnen! Sie kommt aus einer sagenumwobenen Teetassen-Dynastie. Ihre Urururgroßmutter leistete bei keiner Geringeren als Jeanne D’Arc ihre Lebensdienste ab. Das muss vielleicht aufregend gewesen sein! Und was noch bemerkenswerter ist: sie überlebte den Scheiterhaufen sogar! Dank eines neuen Herstellungsprozesses, der bei ihr als einer der ersten Anwendung gefunden und sie besonders hitzebeständig gemachte hatte. Eine legendäre Geschichte, die auf Familienfeiern auch heute noch immer gut geht! Aber auch die Großmutter meiner Teetasse soll eine verwegene Abenteurerin gewesen sein. Sie befand sich im Besitz von Michail Gorbatschow und trug mit ihrer großzügigen Wärme maßgeblich zur Beendigung des Kalten Krieges bei. Allerdings erst, nachdem sie fast den 3. Weltkrieg ausgelöst hatte. Sie konnte den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan partout nicht leiden und als sie ausgerechnet ihm vorgesetzt wurde, feuerte sie ein paar ziemlich heiße Spritzer Kaffee auf dessen Schoß. Dieser dachte natürlich prompt, es würde sich bei der Tasse um eine neue ferngesteuerte Geheimwaffe der Russen handeln…

Ich weiß, auf das Aussehen zu schauen ist oberflächlich, aber habe ich schon erwähnt, dass meine Teetasse die reinste Augenweide ist? Handgefertigt von einer großen Meisterin in einer Eleganz, auf die man nur mit Bewunderung reagieren kann. Im Inneren trägt sie diese natürlichste aller Farben – ein Innenausstatter würde sie als „ein Hauch von Edelbraun angereichert mit sanftem Steingrau und das Ganze gepaart mit etwas Muschelweiß“ beschreiben. Ein Mensch auf der Straße würde sie wahrscheinlich einfach als schlammfarben einstufen. Außen ist sie in einem Türkis bemalt, das mich an die Farbe des Meeres rund um die Malediven erinnert. Strahlend schön, hier und da kleine feine Übergänge in tiefere Töne, nur um dann wieder seichter zu werden, so wie die vielen Sandbänke im Indischen Ozean. Meine Teetasse ist ein Traumobjekt, das sich wie Urlaub anfühlt und Geschichten offenbart.

Zum Beispiel das Märchen vom Affen, der Krähe, dem Pelikan und der Riesenkrabbe. Das geht in etwa so: Es war einmal eine überdimensionale Krabbe mit riesigen Klauen, die so gefräßig war, dass sie einen vorbeifliegenden Pelikan in einem Zuge verschlingen wollte. In dem Moment flog eine Krähe mit einer Walnuss im Schnabel über den Affen hinweg, der hinter ihr stand und ihr gerade einen Streich spielen wollte, indem er sie kräftig am Schwanz zog. Wie die Geschichte ausging, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen, aber der Moment ist für immer als schwungvolle, japanisch anmutende Zeichnung in orangefarbener Tusche auf besagtem Malediven-Türkis verewigt. Gestaltet in ausdrucksstarker Leichtigkeit, kombiniert mit elegantem Frohsinn und jener eindringlichen Tiefe, für die Japans Kultur so berühmt ist. Kurzum: Meine Teetasse ist eine Zen-Tasse.

Sie schenkt mir Leere und Raum im Inneren. Als freiheitsliebender Mensch liebe ich diesen Aspekt neben den bereits erwähnten Abenteuergeschichten natürlich besonders. Meine Teetasse kann sehr wählerisch sein und lässt ganz im Sinne der Zen-Tradition nur das hinein, was ihr wirklich gut tut. Das Beste vom Besten. Wenn es Assam ist, dann nicht irgendeiner aus dem Aldi-Regal sondern nur die handverlesene Goldblatt-Variante aus dem Teehaus, die meinem Portemonnaie jeden Monat aufs Neue eine bisher ungesehene Großzügigkeit entlockt. Und wenn der Tee wirklich einmal aus Beuteln kommen muss, dann gehen stinknormale Fertig-Teebeutel im Übrigen auf gar keinen Fall, es muss wenigstens der Ferrari unter den Teebeuteln sein – du weißt schon, diese pyramidenförmige 3D-Variante aus Stoff. Aktueller Favorit ist die „Frische Australiens“ – eine Komposition aus Hibiskusblüten und Lemonmyrte, die ich neulich freudestrahlend auf meinem Wochenendeinkauf entdeckte. Belebend und auch hier wieder ein Hauch von Urlaubsgefühl. Ja, meine Teetasse liebt es, sich hin und wieder ihrem Bedürfnis nach Exotik und Extravaganz hinzugeben.

Aber es gibt noch weitere Zen-gerechte Gemeinsamkeiten, wie die Liebe zur Stille. Meine Teetasse ist ein wahrer Quell der Stille. Und sie verfügt über eine Bescheidenheit, da würde Buddha vor Neid erblassen! Sie würde sich nie aufdrängen, ist in ihrer liebevoll zugeneigten Präsenz einfach da und auch nie beleidigt, wenn ich ihr mal keine Aufmerksamkeit schenke oder sie für eine Stunde in die dunkelste Ecke des Geschirrspülers verfrachte. Das kommt übrigens sehr selten vor. Meistens wasche ich sie im Gegensatz zu all den anderen Gegenständen freiwillig mit der Hand. Ihre ganze Form und Erscheinung schmeichelt meinen Händen so sehr, dass das Halten ein absoluter Genuss ist. Eine haptische Erfahrung der Extraklasse. Meine Finger lieben es geradezu, den weich geschwungenen Henkel zu berühren. Meine Haut schmiegt sich gern an den geschmeidigen Ton, der ein so intensives Gefühl des Geerdet-Seins ausstrahlt, wie es sonst nur die Erde während eines Spaziergangs auf der Wiese vermag. Wenig verwunderlich, denn tatsächlich steckt ein Teil von ihr als Ton in dieser Tasse. Und wenn ich genauer darüber nachdenke, dann steckt nicht nur Erde in ihr, sondern auch Feuer, Wasser und Luft. Das Wasser vermischt sich mit der Erde, die Luft entfacht das Feuer – und schon sind alle vier Elemente im kreativen Tanz miteinander vereint.

Ja, meine Tasse ist eine abenteuerliebende, geschichtsträchtige, übersinnliche, traumbegleitende, tugendhafte Superheldin der Natur! Habt ihr auch so ein Exemplar zu Hause? Oder vielleicht ist es bei euch eher ein Bierkrug, Weinglas oder Kaffeepott? Und welche Geschichten fallen euch dazu ein? Lasst der Fantasie freien Lauf, das ist gut für die Kreativität! 😉