Natur pur und so einige Überraschungen

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Nach zwei Wochen Großstadtluft mit schönen Wiedersehensbegegnungen, äußerst gutem Essen und beindruckender Kunst verschlägt es mich für das Wochenende endlich in den australischen Busch. Der für mein Wüstenabenteuer auserkorene ozeanblaue Toyota RAV4 ist eingetroffen und geht mit meinen beiden momentanen Gastgeberinnen und mir auf Probetour in den Südwesten von Victoria. Unser Ziel ist der Mount Eccles National Park bzw. Budj Bim, wie er in der Sprache des dort ansässigen Volkes der Gunditjmara heißt. Es ist Victorias erster Nationalpark, der in Kooperation zwischen Parks Victoria und den lokalen Aborigines geführt wird. Diese laden uns am Eingang ein, ihr Land ganz mit unseren Sinnen wahrzunehmen.

„The Aboriginal traditional owners welcome you to Budj Bim. We are happy and proud to share this special place with you and ask that you take the time to look, listen and feel the Country.“

Budj Bim ist ein schlafender und wohlgemerkt nicht erloschener Vulkan, der angeblich innerhalb der nächsten 10.000 Jahre jederzeit ausbrechen kann. So informiert uns zumindest mit freudestrahlendem Gesichtsausdruck Merilyn, der Besitzerin jenes sehr gemütlichen Bed & Breakfast, für das wir uns spontan auf unserem Weg in den Park als Unterkunft für die kommende Nacht entschieden haben.

Nach den vier Stunden Autofahrt von Melbourne hierher tut es gut, selbst in Bewegung zu kommen. Zur Erkundung der Gegend haben wir diverse Walking Tracks zur Auswahl und entschließen uns zur Umrundung des Kratersees Lake Surprise – in guter Hoffnung, heute keine Überraschung in Form eines Vulkanausbruches zu erleben!

Nach einem wunderschönen Ausblick von oben steigen wir hinab in den Krater zum Ufer des Sees und wandern umgeben von gigantischen Eukalyptusbäumen, dicht gewachsenen Farnen und Lavagestein den schmalen Pfad entlang. An diversen Stellen ragen unendlich lang wirkende, umgefallene Baumstämme in das Wasser, am Boden liegt überall die Rinde der Gum Trees, die sich zur Zeit gerade häuten und den Buschfeuern guten Zündstoff liefern. Ein strauchartiges Gewächs mit lilafarbenen Blüten und grünen bzw. orangefarbenen Früchten, die aussehen wie Tomaten, weckt mein Interesse. Ob es wohl die berühmten Bush Tomatoes sind?

Während ich meinen Blick langsam einen riesigen, sich schief zum See neigenden Eukalyptus hochwandern lasse, frage ich mich, wo die vielen in dieser Region lebenden Koalas eigentlich stecken. Just in dem Moment entdecke ich ein graues Fellknäuel, das ganz weit oben in den Gipfeln des Baumes bewegungslos in den Ästen hängt. Ein Koala, ein Koala! Die Wiedersehensfreude ist groß und obwohl wir unsere Begeisterung so geräuschvoll zum Ausdruck bringen, dass deren Schallwellen definitiv auch dort oben lautstark ankommen müssten, nimmt das Tier zunächst keinerlei Notiz von uns. Erst nach einer Weile öffnet es mit gelangweiltem Gesichtsausdruck ein halbes Auge und neigt seinen Kopf kaum wahrnehmbar in unsere Richtung, nur um im nächsten Moment wieder in jenen Komazustand zurückkehren, in dem wir es vorgefunden haben.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Koala in freier Wildbahn in einem anderen Zustand als diesen anzutreffen, ist bei 18 bis 20 Stunden Schlaf pro Tag schwindend gering. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch von Mount Eccles vor fast genau fünf Jahren. Damals war ich im Eingangsbereich des Parks mit meiner Kamera auf Entdeckungstour unterwegs. Plötzlich sah ich einen Koala am hell-lichten Tage einen Baum wenige Meter von mir entfernt herunterkrabbeln und sich am Boden so dicht an mir vorbei durch das Gras zu bewegen, dass ich ihn hätte berühren können. Ich traute mich kaum zu bewegen, da ich ihn nicht verschrecken wollte. Nach einigen Minuten unseres friedlichen Miteinanders kletterte er den nächsten Baum wieder nach oben und machte es sich dort für ein weiteres Schläfchen gemütlich. Ich blieb noch einen Moment stehen und konnte nicht glauben, was gerade passiert war.

Auf unserem weiteren Weg um den See entdecken wir Brombeersträucher und es duftet nach Minze – ein Hauch von Heimat. Kleine Lavasteine in den verschiedensten Lila-, Grau-, Braun- und Rottönen liegen auf der Erde, daneben die grau-rote Feder eines Galahs. Dieser Ort ist tatsächlich ein Erlebnis für die Sinne. Als wir erneut um eine Ecke biegen, stehen zwei Wallabies am Hang und fressen sich gerade satt. Beim Näherkommen hüpfen sie den Berg hoch und bleiben geduldig abwartend in sicherer Entfernung hinter dem Gestrüpp stehen, bis wir wieder außer Sichtweite sind.

Nach der Wanderung gönnen wir uns ein Picknick, zu dem sich im Laufe der Zeit immer mehr Wallabies gesellen, die ihr Abendbrot aus Blättern ganz in unserer Nähe einnehmen. Frisch gestärkt begebe ich mich mit meiner Kamera vorsichtig auf Wanderschaft, um die Tiere etwas näher vor meine Linse zu bekommen. Sie lassen sich nicht stören, schauen immer mal wieder zu mir hoch – bessere Fotomodels könnte ich mir nicht wünschen! Plötzlich erscheint etwa zehn Meter vor mir wie aus dem Nichts ein Tier, das etwas anders als die anderen aussieht. Ein Känguru in grau-silber schimmerndem Fell steht vor mir und schaut mich an. Ich schaue zurück, mein Blick fällt auf seinen Bauch – ein kleines Känguru-Baby lugt aus dem Beutel hervor!

Die Mutter harrt zusammen mit einem etwas abseits stehenden Gefährten, den ich zunächst gar nicht wahrnehme, eine gute Viertelstunde so aus. Das Kleine verschwindet immer mal wieder im Beutel, manchmal lässt es dabei seine Beine raushängen. Dann springen die beiden plötzlich los wenige Meter an mir vorbei zu den Grasfeldern, die sich an der in den Park führenden Straße befinden und lassen mich mit einem ähnlichen Gefühl zurück, das ich bereits damals an der gleichen Stelle bei meiner Koala-Begegnung hatte. Dem Gefühl, gerade etwas sehr Einzigartiges erlebt zu haben. Die Verbindung mit etwas Höherem. Etwas, das physisch nicht greifbar ist. Und in seiner Flüchtigkeit etwas Mystisches mitbringt, das über die von außen sichtbare Bedeutung hinausgeht.

Am nächsten Tag wollen wir uns auf die Spuren der Aborigines begeben und machen uns auf den Weg zum Lake Condah, wo es eine alte Mission und die Überreste von alten Steinhütten geben soll, in denen die Aborigines dieser Region im Gegensatz zu den vielen anderen indigenen australischen Völkern ihr nicht-nomadisches Dasein führten. Als wir an der Mission ankommen, befinden sich dort überall Schilder mit „No trespassing“ darauf. Wir respektieren diesen Wunsch und fahren weiter. Nachdem wir an anderen Stellen mangels Ausschilderung vergebens nach den Hütten und Spuren der Gunditjmara suchen und die lokalen Tour-Guides telefonisch nicht erreichen können, entschließen wir uns, für eine zweite Wanderung zum Mount Eccles zurückzukehren.

Der Natural Bridge Walk führt uns zu einer Anhöhe aus Lavagestein, die sich an beiden Seiten von uns immer höher emporstreckt. Der Ort kommt mir für einen flüchtigen Moment bekannt vor. Der schmale Weg schlängelt sich vorbei an Farnen, moosbewachsenen Lavafelsen und umgefallenen Baumstämmen – diese Landschaft erinnert mich an Irland und so ordne ich diesen Ort gedanklich dort ein. Wir kommen an die Natural Bridge, unter der sich eine dreiecksförmige Öffnung befindet, die in das Dunkel einer Höhle führt. Ich stehe plötzlich vor den hinabführenden Stufen einer Holztreppe und weiß, dass ich vor genau diesem Bild schon einmal stand. An nichts anderes kann ich mich erinnern. Nur an dieses Bild, das sich wie ein Abdruck in mein Gedächtnis geprägt hat. Es ist eigenartig zu wissen, dass ich schon einmal hier war, ohne mich an weitere Details zu erinnern.

In der Höhle gewöhnen sich meine vom grellen Sonnenlicht geblendeten Augen langsam an die Dunkelheit und nach und nach offenbart sich die Schönheit des Inneren in ihrer ganzen Fülle. Orangetöne, Grüntöne, Brauntöne, die sich miteinander vermischen und auf den unterschiedlichen Strukturen der Gesteinsoberflächen einen wahren Reichtum an abstrakten Bildern hinterlassen. In der Mitte liegt ein großer Haufen von Steinen, hinter dem sich am anderen Ende der Höhle eine ebenfalls dreiecksförmige Öffnung nach draußen befindet. Ich sitze auf einem der Steine und lasse den Raum auf mich wirken. Durch die beiden gegenüberliegenden Lichtquellen kommt er mir in seiner Dimension und Präsens sehr tief vor. Es fällt leicht sich vorzustellen, wie die Aborigines für Zeremonien oder aus anderen Gründen hierher kamen. Auf dem Rückweg treffen wir auf eine Baby Brown Snake, die bewegungslos auf einem umgekippten Baumstamm am Wegesrand ausharrt. Auch sie erntet freudige Begeisterung, aber in ausgewachsener Version möchte ich ihr nicht begegnen…

Im goldenen Abendlicht fahren wir vorbei an Feldern und Farmen zurück nach Melbourne. Ohne die verbliebenen Spuren der Aborigines mit eigenen Augen gesehen zu haben, sind wir doch auf ihren Spuren gewandelt – indem wir Budj Bim auf ihre Art näher gekommen sind. Durch hinsehen, zuhören, spüren.

16.095 km von Zuhause: HOME

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Es ist Mittag an einem heißen Sommer-Montag im Januar und ich spaziere im Schatten von majestätisch anmutenden Eukalyptusbäumen dem Inneren von Melbourne entgegen. Eine angenehme Brise trägt mir ihren erfrischenden Duft für eine kurze Weile hinterher. Ich biege auf die breite St Kilda Road ab und erinnere mich, dass ich diesen Weg früher manchmal in meiner Mittagspause zurückgelegt habe. Schnellen Schrittes und immer mal wieder mit einem Blick auf die Uhr, um dem Büro nur nicht allzu lang fern zu bleiben. Eine Armbanduhr besitze ich inzwischen lange nicht mehr und in Bezug auf die Geschwindigkeit würde ich meinen Gang heute eher als Schlendern bezeichnen. Die Stadt liegt vor mir mit all ihren schwindelerregend vielen Möglichkeiten. Ich habe fünf Jahre in Melbourne gelebt, was mache ich jetzt als Touristin hier?

Während ich gedanklich noch diverse Optionen für die nächsten Stunden durchgehe, komme ich zum Arts Centre, bei dessen allerersten Anblick ich vor vielen Jahren erst einmal unwillkürlich die Augenbrauen hochziehen musste. Die 162 Meter spitz in die Höhe preschende weiße Stahlkonstruktion des Turmes kam mir damals sehr funktionslos vor und löste erst einmal eine gehörige Portion Zweifel am Sinn des ganzen Gebildes aus. Im Laufe der Jahre und mit einer zunehmenden Vorliebe für interessante Strukturen lernte ich seine visuellen Vorzüge allerdings durchaus zu schätzen und die Frage nach dem Zweck einfach sein zu lassen. Schönheit geht auch ohne Sinn und entfaltet sich am besten jenseits von Logik.

Am Straßenrand steht ein alter blau-metallic-farbener VW Bus, der als mobiler Verkaufsstand für Kaffee und Snacks umfunktioniert wurde. Da ist es wieder, mein Sinnbild für Auszeit und Abenteuer. Eine wahre Auszeit lässt sich nur schwer planen, denn eigentlich geht es doch darum, einfach dem zu folgen, was da kommt… Und wer zu viele Pläne macht, läuft Gefahr, an den wahren Schätzen vorbeizulaufen. Ich drehe mich um und erblicke auf der für Januar überraschend grünen Grasfläche neben dem Arts Centre ein etwa fünf Meter hohes Holzhaus. Seine Wände bestehen aus unzähligen kleinen Fächern, in denen jeweils ein kleines Holzhäuschen aufgestellt ist. Bunt gestaltet in schillernden Farben, die mich einladen, näher zu kommen.

HOME. So heißt die gerade eröffnete Freiluftausstellung, die versucht zu ergründen, was dieses Wort für uns Menschen als Individuen, Familien und Gemeinschaften bedeutet. 7.000 kleine Häuschen wurden in den letzten Monaten in Melbourne und Victoria in zahlreichen Community Workshops gestaltet, 1.100 davon befinden sich jetzt in den Fächern des großen Holzhauses – von den Melburnians schlicht The Big House genannt – während der Rest überall in der Stadt verteilt ist und auf freudig überraschte Entdeckerinnen und Entdecker wartet.

Interessanterweise habe ich mir die Frage nach der Heimat seit meiner Rückkehr nach Australien selbst schon mehrere Male gestellt. Während ich so das Holzhaus umrunde und die einzelnen Häuschen näher betrachte, wird mir klar, wie vielfältig die Auffassungen und Ideen dazu sind. Ein Haus mit kleinen Stöckchen beklebt. Ein anderes mit Knöpfen. Eins mit Holzbuntstiften. Eins mit alten Buchseiten. Musiknoten und eine kleine Drehorgel an der Vorderseite. Ein gestricktes Haus. Ein gehäkeltes Haus. Ein Haus aus Mosaiken. Ein Haus beklebt mit kleinen Schrauben und Muttern. Häuser bemalt mit den unterschiedlichsten Motiven. Mal abstrakt, mal bildhaft. Herzen. Ein Papagei. Eine Ananas. Bienen. Blumen. Bäume. Landschaften. Schneeflocken. Die deutsche Flagge. Ein Selbstportrait. Eine Familie. Ein Traumfänger. Mit Sternen bedeckt. Sonne und blauer Himmel. Eins mit Punkten bedeckt. Eins mit Fragezeichen.

HOME vereint mehrere Konzepte: Heimat. Zuhause. Haus. Aus den Lautsprechern am Holzhaus ertönen Stimmen von Menschen, die ihre Gedanken zu diesem Thema teilen. Sie erzählen von den Häusern, in denen sie leben. Einige reflektieren über die Orte ihrer Herkunft, z.B. Syrien. Ich erinnere mich an ein Paar, das gestern im Restaurant neben mir saß und sich ausführlich über Aufbau, Lage, Umgebung und Einrichtung ihres offenbar neuen Hauses austauschte. Das Haus an sich – ein großes Thema in der australischen Kultur.

Ein befreundetes Paar präsentierte mir vor einigen Tagen stolz ihr sehr geräumiges Haus im schon fast ländlichen Nordosten von Melbourne. Genug Platz zu haben – das ist es, was sie seit dem Umzug aus ihrem beengten kleinen Stadthaus am meisten an ihrem neuen Zuhause schätzen. Auch traf ich auf einen deutschen Einwanderer, der seit 20 Jahren hier lebt und seither sieben Mal umgezogen war. Immer dann, wenn ein Haus ausgebaut und schön eingerichtet war, verkaufte er es zu einem höheren Preis und suchte sich mit seiner Familie eine neue Bleibe, die dann ebenfalls ausgebaut und mit der Zeit wieder verkauft wurde. Das Zuhause als Einkommensquelle.

Eine tiefe kräftige Frauenstimme mit australischem Akzent holt mich zurück in die Gegenwart. „Ich verbinde damit keine Konstruktion, sondern ein Gefühl und es geht dabei um Rituale. Ein Ort, an den ich mich zurückziehen kann. An dem ich Raum für meine persönlichen Rituale habe.“

Als ich neulich eine viel gereiste Freundin frage, entgegnet sie geradeheraus: „Home is where the heart is.“ Ich mag diesen offenen Ansatz. Es ist das Gefühl der inneren Geborgenheit. Egal welche Erlebnisse, Begegnungen, Menschen, Tätigkeiten, Dinge oder Orte dieses Gefühl auch immer in uns auslösen mögen. Aber es ist ganz bestimmt nicht nur auf ein Fach beschränkt. Ich glaube, jeder Mensch hat sein eigenes Holzhaus mit vielen kleinen Fächern. Und wir leben, um diese nach und nach zu füllen. Mit dem, was uns Freude macht. Was unsere Neugierde weckt. Unser Herz zum Lachen bringt.

Ich habe es mir vor dem Arts Centre im Schatten gemütlich gemacht, beobachte die Menschen, wie sie aus allen Richtungen neugierig auf das Holzhaus zuströmen. Sie finden die Häuschen, die sie am meisten ansprechen. Sie freuen sich. Tauschen sich aus. Manche lichten sie ab um sie mitzunehmen. Um sich inspirieren zu lassen. Oder vielleicht um sich in der Erinnerung an diese Entdeckung neu zu erfreuen. Im Hintergrund ertönen die Klänge eines chinesischen Streichinstruments aus dem 10. Jahrhundert. Ein alter asiatischer Mann mit langem weißen Haar und Bart spielt auf einem Erhu. Ich kann 16.095 km von meiner Heimat entfernt sein und bin für den Augenblick doch hier zuhause. Einfach, indem ich mich auf das einlasse, was sich da vor mir offenbart und es als Geschenk annehme. Am anderen Ende der Welt. Umgeben von Kunst, Kreativität, Kultur – dem, was uns Menschen miteinander verbindet. Und meine eigenen Fächer füllt.

Momentaufnahmen: 3 Tage im Ankommen

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Orion am Sternenhimmel. Vegemite-Toast zum Frühstück. Endlos ins Blau ragende Palmen. Eine Restaurant-Besitzerin mit bemerkenswertem Menschengedächtnis. Absprung in den Sand. Wellen, die gegen Pierpfosten klatschen. Ein Hähnchen im abendlichen Lagerfeuer.

Die Eigenwilligkeit eines Sonnenschirmes. Ein vorbeifliegender Pelikan über türkisblauem Wasser. Eine grüne Muschel, die sich mühselig ihren Weg durch den Sand bahnt. Eine Spinne, die in die Unsichtbarkeit springt. Schattenbilder im Einklang mit dem Zen.

Flache Häuser in verschlafenen Vororten. Der Duft von Eukalyptus im Morgenwind. Abwaschbürsten in fröhlich leuchtenden Farben. 38 Grad Celsius. Klimaanlage gegen Sommerorkan – wer übertönt wen? Im Mango-Paradies. Einsteigen auf der falschen Seite.

Vom Alltag zum Abenteuer: Australien 2.0

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Es ist ein düsterer, nasskalter Dezembertag, über dem die Gewissheit liegt, dass seine Leuchtkraft heute nicht über das sanfte wolkenverhangene Grau des Himmels hinausgehen wird. Auf dem kleinen Fluss, an den es mich immer wieder zu ausgedehnten Spaziergängen zieht, schwimmen Batzen aus Stöcken, Zweigen und Laub an mir vorbei. Es scheint sich auf dem Weg einiges gelöst zu haben, was nun flussabwärts treibt und immer mal wieder dafür sorgt, dass der Lauf des Wassers langsamer wird, an einigen Stellen sogar fast zum Erliegen kommt. Nur um dann aus einem unergründlichen Anstoß heraus doch wieder in Fahrt zu kommen.

Ein kleines blondes Mädchen erscheint vor meinem Blickfeld und kommt mit kurzen, gleichmäßigen Schritten, die auffallend entschlossen wirken, immer näher. Im Hintergrund erblicke ich eine Frau mit einem großen Hund an der straffen Leine, die gerade die Brücke zur anderen Seite des Flusses überquert. Das Mädchen läuft weiter in meine Richtung – ihr freundlicher Gesichtsausdruck strahlt eine Neugier und Offenheit aus, die mich berühren. Die Frau mit dem Hund bemerkt den Eigensinn ihres Kindes und kommt wieder über die Brücke zurück, ihre Rufe werden übertönt von der Musik in meinem Ohr. Das Mädchen scheint zunächst nicht zu hören – oder hören zu wollen. Schließlich bleibt es mit einem nachsichtigen Lächeln stehen, dreht sich um und geht ihrer Mutter in ebenso gleichmäßigen Schritten entgegen, wie es zuvor auf mich zugekommen war. Aber nicht ohne noch einmal für einen Moment mit einem Ausdruck des Zögerns inne zu halten. Bis die Rufe der Fürsorge den Anflug von Abenteuerlust gänzlich übertönen und sie sich wieder zur Mutter hin in Bewegung setzt.

In genau vier Wochen lande ich da, von wo aus die Welt wie umgekehrt wirkt – oder wo sie zumindest doch etwas anders aussieht als an diesem Fluss. Der Winter wird zum Sommer. Der Mond ist zunehmend, wenn er eigentlich wie abnehmend aussieht. Und einen Polarstern gibt es nicht – aber dafür das Kreuz des Südens. Dreieinhalb Jahre sind vergangen, seitdem ich an einem ungemütlichen Wintertag im Juni meine fünfjährige Australienzeit hinter mir ließ. Sie war als einjährige Auszeit geplant gewesen und hatte in gewisser Weise nie das gehalten, was ich mir ursprünglich von ihr gewünscht hatte.

Nach meiner Ankunft in Melbourne hatte mich das Leben innerhalb kurzer Zeit in einen Alltag hineingeschubst, der mir mit all seinen Verpflichtungen nur punktuell eine Auszeit erlaubte. Diese kurzen und längeren Reisen hielten mich zwar gut über Wasser und erfüllten temporär meine Sehnsucht, dieses Land in all seiner Weite zu fassen, aber dennoch blieb etwas unerfüllt, als ich an jenen Montagen aus dem Urlaub in das stets vollklimatisierte Großraumbüro trat und pflichtbewusst an meinen Schreibtisch zurückkehrte. Meine Wüstenabenteuer schafften es einfach nicht über die 10-Tage-Marke hinaus.

Mein Alltag befindet sich nun wieder am anderen Ende der Welt. Da wo er hingehört – zumindest ist das mein Gefühl, wenn ich von großen Reisen und kleinen Ausflügen an diesen Ort zurückkehre. Ende letzten Jahres erschien auf besagten Spaziergängen am Fluss ein alter sonnengelber T1 auf der Bildoberfläche und mit jedem neuen Aufeinandertreffen hatte ich mehr das Gefühl, dass es langsam Zeit wird, nach Australien zurückzukehren. Wenig später prophezeite mir ein chinesischer Glückskeks “You are heading for a land of sunshine” und so kommt es nun, wie es zu kommen hat.

Ohne das Bedürfnis, die Dinge im Detail zu planen, war mir in den letzten Monaten lediglich mein Flugdatum bekannt. Ich verlasse meinen Alltag an diesem Ende im alten Jahr und beginne mein Abenteur am anderen Ende im neuen Jahr. Seit einigen Tagen hängt in meiner Küche eine Australienkarte mit fünf sonnenbemalten Klebepunkten darauf – die sich alle in einem Moment der absoluten Klarheit wie von selbst verteilten. Jemand hatte mir genau die richtige Frage gestellt, die dazu führte, dass mein Unterbewusstsein mir endlich Zeichen gab, wo es mit dieser Reise eigentlich hingehen soll.

Es sind fünf Orte, zu denen ich eine besondere Verbindung habe. Das Wort “Seelenorte” drückt es gut aus. Es geht um Erinnerung genauso wie um Neuentdeckung. Um Reflektion der einstigen Erfahrungen aus dem Blickwinkel des Jetzt. Es geht darum, Australien aus der Perspektive des uneingeschränkten Abenteuers zu erleben. Um die Freiheit, mir den einen oder anderen Umweg zu erlauben. Die außergewöhnliche Weite dieses Kontinentes im ganz eigenen Tempo auszukosten und dabei vielleicht den einen oder anderen Weitblick mitzunehmen.

Es geht um Erfüllung… und ich wähle den Landweg – direkt verbunden mit der Erde. Wenn ich meine Karte betrachte und mir die Unvorhersehbarkeit so vieler Aspekte dieses Unterfangens vor Augen führe, ist eins klar: Es wird spannend, ob sich alle fünf Punkte miteinander verbinden lassen und wohin mich mein Weg tatsächlich führt.

Die Reiseroute

1. Ein Ort der Leichtigkeit und Lebensfreude. Der Beginn von allem und das Gefühl, dass alles möglich ist.

2. Uraltes Gestein, die Berührung mit der Traumzeit und schöpferische Kraft in ihren Anfängen.

3. Die Verbindung zur Vergangenheit und die Suche nach den Spuren, die wir hinterlassen.

4. Das spirituelle Zentrum. Alles ist miteinander verbunden.

5. Das Paradies.